Regenpoesie

Landregen

Hilf Gott, wie ist die Welt so naß!
Regen, Regen, Regen!
Schon drei Tag ohn’ Unterlaß
Schwimmt’s auf allen Wegen.
Um die Hügel spinnt’s,
Von den Dächern rinnt’s,
Und die Leute blau gefroren,
Wie mit dem Regenschirm geboren.
Nebel liegt auf See und Land,
Wie ein graues Packtuch ausgespannt.
Deutsche Natur, dran erkenn’ ich dich,
Wie die Hausfrau sparsam und bürgerlich:
Diese Wälder und laubigen Höh’n
Wären für alle Tage zu schön,
Deckst sie mit grauem Segeltuche,
Sparst sie für seltene Sonntagsbesuche,
Und die Berge, so fern und fahl,
Steckst du ins Wolkenfutteral.

Drunten im lieben, im goldenen Süd
Wird die Sonne zu scheinen nicht müd,
Scheint sich selber zu Lust und Ehr’,
Tut nicht, als ob’s was Besonderes wär’.
Dort, ja dort!
Hier aber plätschert es fort.
Nach dem Wahlspruch biederer Bürgersleute:
„Wie wir’s gestern getrieben, so treiben wir’s heute“,
Plätschert’s aus purer Gewohnheit fort.
Güsse folgen auf Güsse,
Nordische Sommergenüsse.
Und das Licht der Laternen, das qualmerstickt
Mit hundert Augen aus Pfützen blickt,
Die Wiesen Moräste, die Straßen Leim,
Die ganze Welt wird ein Niflheim.

(Isolde Kurz (Wikipedia-Artikel), Landregen, aus: Neue Gedichte, Cotta, Stuttgart 1905. Online-Quelle)

 

Landregen | RegensucherinQuelle: Photo by Anna King on Unsplash

 

Die Entdeckung dieses Gedichtes (nicht der Dichterin) verdanke ich der wertgeschätzten Frau Wildgans. Vielen Dank!