Regenpoesie

Alle handeln wie die Herzen müssen

Meine Ohren horchen in die Nacht,
Wie der Regen seinen Tanzschritt macht.
Ruhe, eine der uralten Ammen,
Singt ihr Lied mit Dunkelheit zusammen,
Und der Regen tanzt auf flinken Füßen.
Alle handeln wie die Herzen müssen,
Alle wandeln frisch und unverfroren.
Nur die Liebe wird mit Angst geboren,
Nur der Sehnsucht ruhen nie die Ohren.

(Max Dauthendey, Alle handeln wie die Herzen müssen, in: Der weiße Schlaf, aus: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 445)


 

Montmartre, Paris

Quelle: Foto von Matthee auf Unsplash

 


Endlich mal wieder ein bisschen Dauthendey. Rilke und/oder Dauthendey, es geht gerade nicht ohne. Das Foto oben ist übrigens laut Angaben irgendwo auf dem Montmartre entstanden.

 

 

Regenpoesie

Kinderlied

Regen, Regen,
Himmelssegen!
Bring’ uns Kühle, lösch’ den Staub
Und erquicke Halm und Laub!

Regen, Regen,
Himmelssegen!
Labe meine Blümelein,
Laß sie blüh’n im Sonnenschein!

Regen, Regen,
Himmelssegen!
Nimm dich auch des Bächleins an,
Daß es wieder rauschen kann!

(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Regen, Regen, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay


Mit Dank für die Erinnerung an die Zweitverwertung an den Herrn hinter Kafka on the road.


Regenpoesie

Die roten Rosen waren nie so rot

Die roten Rosen waren nie so rot
als an dem Abend, der umregnet war.
Ich dachte lange an dein sanftes Haar …
Die roten Rosen waren nie so rot.

Es dunkelten die Büsche nie so grün
als an dem Abend in der Regenzeit
Ich dachte lange an dein weiches Kleid …
Es dunkelten die Büsche nie so grün.

Die Birkenstämme standen nie so weiß
als an dem Abend, der mit Regen sank;
und deine Hände sah ich schön und schlank …
Die Birkenstämme standen nie so weiß

Die Wasser spiegelten ein schwarzes Land
an jenem Abend, den ich regnen fand;
So hab ich mich in deinem Aug erkannt …
Die Wasser spiegelten ein schwarzes Land.

(Rainer Maria Rilke, Die roten Rosen waren nie so rot, entstanden in Worpswede am 9. September 1900 „in Gedanken an Paula Becker“, später verheiratete Modersohn, zu finden im „Worpsweder Tagebuch“, Teil der „Tagebücher aus der Frühzeit“, Online-Quelle)

 

Quelle: Pixabay

 

Interessanterweise mal ein Gedicht, das es nicht in eine von Rilkes Veröffentlichungen geschafft hat, sondern welches erst später populär geworden ist. Rilke hatte sich wohl ein bisschen in Paula verguckt, die allerdings ihr Herz zu jener Zeit schon an Otto Modersohn verloren hatte, und hat später dann Clara Westhoff, Paulas damalige beste Freundin, geheiratet.

Lesetipp: Ich habe online ein bisschen in „Clara und Paula: Das Leben von Clara Rilke-Westhoff und Paula Modersohn-Becker“ von Gunna Wendt herumgelesen. Könnte interessant sein.

 

Regenpoesie

Der Kuß

Es regnet – doch sie merkt es kaum,
weil noch ihr Herz vor Glück erzittert:
Im Kuß versank die Welt im Traum.
Ihr Kleid ist naß und ganz zerknittert

und so verächtlich hochgeschoben,
als wären ihre Knie für alle da.
Ein Regentropfen, der zu Nichts zerstoben,
der hat gesehn, was niemand sonst noch sah.

So tief hat sie noch nie gefühlt –
so sinnlos selig müssen Tiere sein!
Ihr Haar ist wie zu einem Heiligenschein zerwühlt
Laternen spinnen sich drin ein.

(Wolfgang Borchert, Der Kuß, aus: Laterne, Nacht und Sterne. Gedichte um Hamburg, 1946, Online-Quelle)

 

Quelle: Photo by zelle duda on Unsplash

 

Regenpoesie

Im Regen

Es stimmt zu mir, es ist ein sinnreich Wetter;
mein Nacken trieft, denn Baum und Borke triefen.
Die Tropfen klatschen durch die schlaffen Blätter;
die nassen Vögel tun, als ob sie schliefen.

Der Himmel brütet im verwaschnen Laube,
als würde nie mehr Licht nach diesem Regen;
nun kann er endlich, ungestört vom Staube,
das Los der Erde gründlich überlegen.

Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:
kein Fünkchen Freude, keine Spur von Trauer.
Und immer steter schwemmt sie mich ins Leere:
kein Staub, kein Licht mehr – grau – und immer grauer.

(Richard Dehmel, Im Regen, aus: Erlösungen. Gedichte und Sprüche, 2., veränderte Auflage 1898, Online-Quelle)

 

Interessanterweise scheint es davon aber eine frühere (abweichende) Version zu geben, die ich ebenfalls schön finde – nur halt anders.

Update: Ich habe viel zu kompliziert gedacht. Dehmel hat zwischen der ersten (sehr erfolgreichen) und zweiten Ausgabe seiner „Erlösungen“ dieses Gedicht überarbeitet.

 

Im Regen

In langen Tropfen rinnt es um mich nieder,
sie schlagen prasselnd durch die schlaffen Blätter,
die Vögel sträuben triefend das Gefieder:
es stimmt zu mir! es ist ein artig Wetter!

Trübsel’ger rauscht es in den Lüften immer,
der Himmel brütend scheint zu überlegen
das Loos der Erde – nirgend stört ein Schimmer:
versunken Laub und Licht, – nur Regen, Regen.

Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:
kein Schein von Freude rings, kein Hauch von Trauer.
Und ziellos starr’ ich, – schreit’ ich, – fort, – ins Leere:
in mir und um mich grau – – und immer grauer.

(Richard Dehmel, Im Regen, aus: Erlösungen. Eine Seelenwandlung in Gedichten und Sprüchen. Erstdruck Stuttgart 1891, Online-Quelle)

 

Quelle: Pixabay

 

Bei uns regnet es die ganze Woche mehr oder minder beständig, aber es ist eher die angenehme, die „Landregen“-Sorte, nicht der Platschregen. Trotzdem – bisschen wärmer, bisschen trockener: Ich hätte nichts dagegen.
Irgendwas ist immer, ihr wisst ja.

 

Regenpoesie

regengefährte

trügerisch ist die ruhe. der erste hauch, noch sanft streichelnd. der wind entdeckt die lust. plötzlich blähen sich strickjacken wie segel. haare zerzauseln. mit wasserdampf gesättigte wolken. es blühen wildwachsende regengebilde. ein tropfen, dann überreiches naß. es tropft und perlt, von nasenspitzen, blütenblättern. ein stiller wolkenbruch zerlegt, zerstückelt das landschaftsbraun. ein zerrbild. schwalben streifen dachfirste. der horizont ist gefärbt, vom widerschein des meeres. ein wasserfall stürzt vom rande der welt. nie still stehende schöpfung. der regen ist mein gefährte. jahrhundertelang.

Autorin: Sabine von wortgeflumselkritzelkram, die übrigens gerade ihren ersten Gedichtband herausgebracht hat. Hier geht es zum Original; dass ich in dieser Form teile, wurde mit der Autorin abgesprochen.
Liebe Sabine, vielen Dank für diesen zauberhaften Regentext extra für mich!

 

Quelle: Pixabay

 

Regenpoesie

Die Regenfrauen

Und weil es so schön ist, kommt hier gleich noch eins von Ola hinterher … danke! 😀

Als die Wolken dräuen sich über unseren Köpfen ballen eilen unsere Schritte schneller durch das raschelnde Laub Unter dem Holzdach des zwergenhaften Unterstands harren wir still aus und lauschen dem Regen Er trommelt auf das Dach verirrt sich kurz im Blattgewirr tropft und hüpft und glänzt und lockt die Regenfrauen Mit dem Versprechen nasser Lust und feuchter Tropfenspiele auf ihre […]

Die Regenfrauen
Regenpoesie

Tagschatten — Stachelbeermond

Mit großer Freude nutze ich wieder mal die Gelegenheit, eines der wunderschönen Gedichte von Frau Stachelbeermond auf die Seite der Regensucherin zu entführen.
Herzlichen Dank für die Erlaubnis, Tanja!

 

 

 

der Tag wirft schwere Schatten
lange Züge voller Fremder
Regen überschwemmt die Stadt
Zeit zum Höhlenbauen
spiel mit mir das Schattenspiel
was ist Wirklichkeit
was nur Lichtschein an der Wand?

Der Dienstag dichtet!  Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Auch Wortgeflumselkritzelkram, Mutigerleben, Werner Kastens, Findevogel, die Nachtwandlerin, Lindasxstories, Myriade, Gedankenweberei, MynaKaltschnee, Wortverdreher und Lebensbetrunken, der BerlinAutor, Vienna BliaBlaBlub, Heidimarias kleine Welt und Traumspruch […]

Tagschatten — Stachelbeermond

 

Regenpoesie

Trübes Wetter

Es ist ein stiller Regentag,
So weich, so ernst, und doch so klar,
Wo durch den Dämmer brechen mag
Die Sonne weiß und sonderbar.

Ein wunderliches Zwielicht spielt
Beschaulich über Berg und Tal;
Natur, halb warm und halb verkühlt,
Sie lächelt noch und weint zumal.

Die Hoffnung, das Verlorensein
Sind gleicher Stärke in mir wach;
Die Lebenslust, die Todespein,
Sie ziehn auf meinem Herzen Schach.

Ich aber, mein bewußtes Ich,
Beschau’ das Spiel in stiller Ruh,
Und meine Seele rüstet sich
Zum Kampfe mit dem Schicksal zu.

(Gottfried Keller, Trübes Wetter, aus: Gesammelte Gedichte, 3. Auflage 1888, 1. Teil, Online-Quelle)

 

Quelle: Pixabay